Gute Chancen für den "Corona-Jahrgang"

FSJ & BFD statt Kompromisse bei der Ausbildungssuche

Der Ausbildungsplatz gestrichen oder erst gar nicht in Sicht – Allein in NRW stehen bislang knapp 13.000 Lehrstellen weniger zur Verfügung als 2019. Statt sich nun auf eine Ausbildung oder auf ein Studium zweiter Wahl einzulassen, starten viele Jugendliche im August und September in ein FSJ oder einen BfD. 

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Freiwilligendienste in der Bundeswehr?
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  • Mathias und Regina
  • Mathias und Regina mit Schutzmasken
  • Regina in der offenen Tür

In diesem Sommer beginnt für viele Jugendliche ein neuer Lebensabschnitt, den sie aufgrund der Pandemie ganz anders gestalten müssen als die Jahrgänge vor ihnen. Wie erleben Sie die jungen Leute, die jetzt ihren Freiwilligendienst beenden oder starten?

Regina Kluck: Die Jugendlichen haben sehr darunter gelitten, dass sie ihre Freunde nicht sehen durften. Es gab keine richtigen Schulabschlussfeiern. Manche mussten ihr FSJ unterbrechen und saßen erstmal zuhause. Bereits zugesagte Ausbildungsplätze wurden wieder gestrichen, ein Studium kann jetzt meistens nur online stattfinden. Allein in NRW fehlen – gegenüber dem Vorjahr – rund 13.000 Lehrstellen. All das hat viele sehr verunsichert und auch für Zukunftsängste und Orientierungslosigkeit gesorgt. 

Wie sind Sie in den Freiwilligendiensten damit umgegangen?

Mathias Schmitten: Mit 55 Bildungsreferentinnen und –referenten betreuen wir etwa 2.000 Freiwillige. Wir bieten regelmäßig Seminare und Bildungstage an und besuchen sie an ihren Einsatzstellen. Unsere Arbeit lebt von einem engen persönlichen Austausch. All das mussten wir ganz schnell auf Telefonate, Videokonferenzen und Onlineseminare umstellen. Für viele Freiwillige, die zum Beispiel in Kitas und Schulen eingesetzt waren, haben wir andere Einsatzmöglichkeiten gefunden. So gut wie niemand hat seinen Dienst abgebrochen. Im Gegenteil. Es war beeindruckend, mit welchem Engagement unsere Freiwilligen in der Alten- und Behindertenhilfe gearbeitet haben – auch, wenn es nicht der Einsatzbereich war, den sie ursprünglich gewählt hatten.

Portrait

Führt gerade viele Bewerbungsgespräche: Mathias Schmitten, Leiter der Freiwilligendienste bei der Diakonie RWL

Die Pandemie hat gezeigt, dass es gerade die sozialen Berufe sind, die unsere Gesellschaft stützen. Ermutigt das junge Leute, in diesem Bereich eine Ausbildung oder ein Studium zu beginnen?

Mathias Schmitten: Auf jeden Fall. In diesem August fangen bei uns schon rund 20 Prozent mehr Freiwillige an als im vergangenen Jahr. Für einen Start im September oder später laufen gerade viele Bewerbungsgespräche. Fast alle sagen uns, dass sie das FSJ nutzen wollen, um sicher zu sein, dass es dieser soziale Beruf – ob Pflegekraft oder Erzieherin – ist, für den sie sich später bewerben wollen.

Regina Kluck: Wenn es weniger Ausbildungsplätze gibt, haben besonders diejenigen mit schlechten Schulabschlüssen kaum eine Chance auf eine Lehrstelle. Der Freiwilligendienst ist für sie eine Chance, sich in einem sozialen Beruf zu bewähren. Mindestens drei Viertel starten danach in eine Ausbildung. Rund ein Viertel wird von den Einsatzstellen, vor allem in der Altenhilfe, direkt als Azubi übernommen. Ihr Engagement zählt dann viel mehr als die schlechten Schulnoten. In diesem Jahr nutzen mehr Jugendliche diese Möglichkeit.

Diakonie RWL-Referentin Regina Kluck ist für das Programm MOVE zuständig.

Für diese Jugendlichen, die häufig aus sozial benachteiligten Familien kommen, bieten sie das Programm MOVE an. Warum bilden Sie besondere Gruppen für diese Freiwilligen?

Regina Kluck: Viele dieser Jugendliche haben – anders als die Abiturienten, die rund 60 Prozent unserer Freiwilligen ausmachen – negative Schulerfahrungen gemacht. Sie haben oft Angst davor, sich in unseren Bildungsseminaren wieder als "Versager" zu erleben. MOVE möchte ihnen deshalb eine andere Form des Lernens bieten. In den praktisch und lebensnah gestalteten Seminaren geht es um Konfliktlösung und Empathie, aber auch um berufliche Perspektiven. Vor vier Jahren haben wir das Programm mit einer Gruppe gestartet. Jetzt bieten wir vier Gruppen für etwa 80 Freiwillige an. Ich hoffe, dass MOVE in den kommenden Jahren weiter wachsen wird.

Wird die Corona-Krise die Freiwilligendienste verändern?

Mathias Schmitten: Ich denke, sie hat gezeigt, dass wir digitaler arbeiten können und auch sollten. Wir haben zum Beispiel gute Erfahrungen mit Online-Bewerbungsgesprächen gemacht. So können wir noch schneller individuell auf Bewerberinnen und Bewerber eingehen. Die Krise hat eine Aufwertung der sozialen Berufe – auch unter den Jugendlichen gebracht. Das zeigt die jüngste Sinus-Jugendbefragung. Und sie hat noch mal deutlich gemacht, wie dringend wir dort mehr Personal benötigen. Dazu können die Freiwilligendienste beitragen – vor allem auch mit Programmen wie MOVE. 

Interview: Sabine Damaschke